Friedemann Schäfer

Er hält dich aus

Gedichte

Gebete

Psalmen

- Meiner Mutter gewidmet -

Es wird nicht dunkel bleiben
über denen, die in Angst sind

			Jesaja 8, 23
ER HÄLT DICH AUS

Er hält dich aus.
Er übersieht dich nicht.
Auch wenn du selten
bist in seinem Haus,
so folgt er dir
mit seinem Engelsschritte:
„Fürchte dich nicht“,
ist seine leise Bitte
und seine Stimme,
die der deinen gleicht,
ist wie ein heller Glanz
um eine Mitte.

Er hält dich aus.
Er ist des Lichts Gestalt,
und wenn in dir
der letzte Grund erblindet,
so nimmt er dich
wie jemand überwindet
und gibt dir gerne
ab von seinem Schein,
und wo in dir
die letzte Hoffnung schwindet,
bist du unwiderruflich sein.



HERR, FINDE DU MICH

Herr, finde du mich,
wenn ich dich nicht finde.
Sei du das Auge,
wenn ich dich nicht seh.
Sei du der Arm,
mit dem ich überwinde
die Trauer und den Schmerz
und binde
mich wieder los,
wo ich benommen steh.

Herr, glaube an mich,
wo mein Glaube fehlt.
Sei du bei mir,
auch wenn es um mich dunkelt,
im Lärm der Städte
und der Gier, die funkelt,
und, wenn die Leere 
dieser Welt mich preßt,
so halte mich
in meiner Ohnmacht fest.



HERR, NIMM MICH AN

Herr, nimm mich an.
Wie ist mir bange.
Wie sehn‘ ich mich nach dir.
Herr, nimm mich an.

Und wenn ich nicht mehr kann,
umgebe mich.
Erfülle mich mit deines Geistes Licht.
Herr, nimm mich an.

Du Gott, der aus der Tiefe spricht.
Du Unergründlicher,
Du ewiges Gewicht.
Herr, nimm mich an.

Und wenn ich einmal
ganz verlassen bin,
dann weite mich
zu deiner liebe hin.

Herr, nimm mich an.



 PSALM

Herr, mein Gott,
oft bin ich ganz leer
und ausgepumpt,
meine Seele eine versiegte Quelle,
mein Verstand eine Wand,
undurchlässig für andere
oder aber ich werde
von Gefühlen überspült
und ersaufe in den Wassern.
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“,
sagt man – doch wie,
wenn sich die Wege kreuzen?
Wenn ich vor lauter Wissen
nichts mehr weiß?
Vor lauter Licht
nichts mehr sehe?
Vor lauter Reichtum
im Neid erblasse?
Vor lauter Leuten
niemanden kenne?



Gott, himmlischer Vater,
lehre uns einander annehmen,
in unserer Schwachheit
und in unserer Stärke,
in unserer Freude
und in unserem Leid,
in unserem Zweifel
und in unserer Hoffnung,
in unserer Begierde
und in unserem Verzicht,
in unserem Frieden
und in unserem Unfrieden,
in unserem Glauben
und in unserem Unglauben,
in unserem Vermögen
und in unserem Unvermögen,
wie du uns angenommen hast,
als Menschen Deiner Schöpfung,
in Jesus Christus, Deinem Sohn,
am Kreuz.



DER ALLEN ANFANG SCHUF

Der allen Anfang schuf,
aus Dunkelheit das Licht,
uns Zeugnis gab und Ruf,
Odem und Angesicht.

Der aller Welt zum Lohn
ans Kreuz geschlagen ward,
geduldet Spott und Hohn,
hat sich geoffenbart.

Komm zu uns, Herre Christ,
der Du aus Ängsten reißt,
uns Mensch geboren bist,
Gott, Sohn und Heil‘ger Geist.



HAB DANK, HERR, FÜR DEN TAG

Hab Dank, Herr, für den Tag.
Hab Dank für diese Stunde,
für alles, was ich vermag.
Ich steh in Deinem Bunde.

Hab Dank für Dein reiches Wort,
für die Freude, die verzeiht,
und zeige mir den Ort,
der Flügel mir verleiht.

Bleib bei mir mit dem Rat,
dem schöpferischen, weiten.
Was ich von dir erbat,
wird nicht ins Dunkel gleiten.



PSALM

Auf Dich gebaut,
auch diese letzten
Zeilen des Glücks,
auf diesen blühenden
Zweig im Abendrot,
auf dieses Unsagbare,
in uns Gewachsene,
auf diesen schmerzlichen Wunsch,
der nicht mehr weiter führt,
auf dieses starke Aufbäumen
gegen jeden Strom,
gegen diesen jähen
Abgrund der Fraglichkeit,
gebaut auf Dich,
mein Gott und mein Teil,
mit den rudernden
Flügeln des Worts, 
wo kein
Schatten mehr gilt.



WER DENKT AN MICH?

Wer denkt an mich,
Gott, wenn ich sterbe?
Ich bin an deinem
Krug die Scherbe,
bin Ohnmacht
aus geblendetem Gewerbe.

Du aber bist die Liebe
und der Geist,
ziehst schützend deinen Kreis
um den Geringen.
In dir ist alles Werden
und Vollbringen.

So zieh auch um mich
deinen Himmelsbogen,
daß ich nicht fallen kann
aus deiner Macht.
Dein guter Engel
halte bei mir Wacht.

Nimm alles von mir, 
was mich von dir trennt.
Erneure meinen Sinn
und mach ihn offen,
daß er dich
immer wieder neu erkennt.
Du bist der Anbeginn,
bist alles Hoffen.

(nach dem Lesen eines Gedichtes
von Rainer Maria Rilke)



ZIEH MICH ZU DIR

Zieh mich zu dir, mein Gott,
zieh mich zu dir.
Nimm alle Angst
und Finsternis von mir.
Erleuchte mich
und mach mich klar und rein
und laß gewiß mich
deiner Liebe sein.

Du bist die Ewigkeit,
bist Brot und Wein.
Herr, laß mich nicht
im Dunkelen allein.
Zieh mich zu dir, mein Gott,
in Wort und Klang,
so will ich danken dir
mein Leben lang.



IN DIR IST ALLER GRUND, O HERR

In dir ist aller Grund, o Herr,
Du, der nur selber in sich gründet.
Gib mir den Mund, der dich verkündet
und der sich öffnet wie das weite Meer.

Gib mir die Kraft des Glaubens und den Mut,
nur dich zu suchen in den andern,
die mir begegnen und die wandern.
Mach mich mit deinen Händen gut.

Sei du der Liebe lichter Schein,
die Liebe, die sich uns verzweigt
und die durch alle Räume steigt,
die alles Wesen ist und alles Sein.

Du, der das ganze Weltall trägt,
was in uns wächst und weiterbindet.
Gib uns die kraft, die überwindet
und die untrüglich in uns schlägt.



ERLÖSUNG

O krummer Weg, den einst erlitt,
der aus dem Geiste kam,
der Licht und Dunkel auf sich nahm,
das Funkelnde und das Ergraute,
der gern mit Zöllnern aß
und auf den Märkten schaute,
o krummer Weg, o krummes Wort,
das da lebendig macht und auferbaute.

O krummer Weg, o krummes Wort,
was hast du uns zu sagen,
wenn uns die Hektik überkommt
und uns die Flügel lahmen?
Mensch, der Du Mensch geboren bist,
von Angesicht zu Angesicht,
Du Einst, Du Jetzt, Du Ewiglich,
hilf uns in unsern Tagen.

O krummer Weg, o offner Weg,
Leib, Kreuz und Brot und Leben,
das in der Not und in der Angst
Hoffnung und Trost will geben.
So brechen wir das ewige Brot.
So nehmen wir vom ewigen Licht,
das vor und mit und in uns ist,
heut und auf alles Wegen.



HALT FEST AN GOTT

Halt fest an Gott, dem guten Lebensbaum.
Du wirst durch ihn noch viele Dinge sehen,
wirst wachen,atmen und in ihm bestehen.
Er ist dir nahe und gewährt dir Raum.

Du sollst dir nie von ihm ein Bildnis machen,
der über allen Bildern steht,
und der wie eine Fahne kräftig weht,
den Weg dir weisend, den er mit dir geht.

Zwar wird dich manchesmal die Angst befallen
und mit dir auch die Frage nach dem Sinn:
Warum doch immer wieder nur Beginn,
warum das Schinden und ein wenig mehr Gewinn,
warum dies alles, der du sagst: „Ich bin“.

Bis du am Ende doch den Geist erfährst,
den heilenden, der dich ganz zu sich nimmt,
der alles, was in dir verworren schwimmt,
zusammenfaßt und auf den Nenner bringt,
ganz wie ein Lied, das man am Abend singt.



ICH DANKE GOTT

Ich danke Gott, dem Herrn,
daß er uns schuf,
daß er uns liebt und leitet
und uns ein Ziel bereitet,
das weitet und das Gutes tut.

Ich danke Gott für unsern Mund,
daß er uns Augen gab und Hände,
die gerne zärtlich sind, und Wände,
wenn nicht verschwinden lassen,
so doch einfach s i n d.

Ich danke Gott für unser Angesicht,
für unsere Sprache und für das Verstehen,
das uns ermöglicht, einander anzusehen,
und das uns tröstet
und uns Hoffnung gibt.

Ich danke Gott, dem Herrn,
für jedes neue Leben,
daß es so etwas gibt wie Zeit
und zwischen Menschen Menschlichkeit
und auch die Freude, etwas abzugeben.

Ich danke Gott, dem Herrn,
was auch geschieht,
weil er mit anderen Augen sieht
und anderen Maßen mißt,
(was man so leicht vergißt).

Ich danke Gott, dem Herrn,
für jede Blume und für jeden Baum,
für jeden Tag, den er verspricht,
für jeden Namen und für jeden Traum,
für jedes Dunkel und für jedes Licht.



PSALM

Herr, mein Gott,
oft wird mir ganz schwindlig
von Zahlen und Fakten.
Unzählig wie Gestirne
fallen sie über mich her,
in feuriger Unrast
und hektischem Lärm,
flüchtige Wege, flüchtige Orte,
Horte voll Ungeduld,
in denen herrschen die Händler,
berauscht von dem Gold
des Übermaßes und der Oberflächlichkeit,
haschend wie die Häscher nach dem Mehrwert,
wo sich alles ins Objekthafte steigert
und die Person zu nichts gerinnt.
Dann aber bist Du da,
mein Trost und meine Zuflucht,
der Du wiegst mit Gewichten des Heils
und mich nicht stürzen läßt
in einen Abgrund ohne Ausweg,
der Du die Becher der Hoffnung
füllst bis zum Rand
mit unendlicher Geduld,
den Schwachen Flügel verleihst,
die Verachteten achtest,
Tote erweckst.
So fürchte ich mich nicht.
Denn Deine Nähe ist
kein leeres Versprechen,
und Dein Wort hat Hand und Fuß.
Dein Werk steht erst am Anfang,
für und für.



Herr, Gott, himmlischer Vater,
hab Dank,
daß Du uns diese Nacht behütet
und uns einen neuen Tag schenkst.
Erfülle uns mit Deinem Licht,
aufdaß wir wachsen mögen
in allen Stücken
als Glieder Deines Leibes,
der Du ja Mensch geworden bist,
uns zum Heil.
So heile unsere Gebrechen,
den Einsamen sei nahe,
den Verzagten stehe bei,
die Suchenden laß finden.
Stärke unseren Leib durch Deinen Leib,
unser Wort durch Dein Wort,
unsere Hilfe durch Deine Hilfe,
in der Hoffnung und Erneuerung
Deines Geistes, Deines Friedens, Deines Reiches.



ZU DIESER MORGENSTUNDE

Zu dieser Morgenstunde,
Herr, möchte ich preisen dich,
um deine Gnade bitten
und daß du ferner mich
behütest und bewahrst
wie in der dunklen Nacht,
wo ich gedankenschwer
hab nachgedacht.

Du bist die Sonne mir
und alles liebe Licht.
Laß unverhüllt mich gehen,
mit hellem Angesicht,
bis daß dein Tag bricht an
nach dieser Erdenfahrt,
und deine Herrlichkeit
an uns sich offenbart.



MENSCHWERDUNG

Manchmal gibt es eine Zeit,
in der etwas mitzuteilen
fast unmöglich scheint,
weil uns einfach
die Luft ausgeht,
und selbst das Essen
wie zertretenes Laub schmeckt.

Manchmal gibt es eine Zeit,
Montag, Dienstag, Mittwoch,
wo wir das Rädchen sind
in der großen Maschinerie,
ein Funktionsbündel,
das niemand vermißt,
weder Mann noch Frau.

Einmal soll es Zeit sein, 
daß alle Dinge sich verändern,
das Große klein,
das Kleine groß,
wo ein Mensch auf uns zukommt,
ein Mensch, nur ein Mensch,
im Angesicht Gottes.



ERDENBILD GOTTES

Erdenbild Gottes,
aus Licht und aus Flor,
Weg, den zu gehen,
wer beschwor?

Klirrendes Eisen,
in Zwänge gehüllt,
Starrendes, Harrendes,
unerfüllt?

Zauber und Lachen,
Witz und Blut,
zur Erde fallendes,
ererbtes Gut?

Wechselndes Zehren,
Herr der Zeit?
Drehende Uhren
zum Geleit?

Ebenbild Gottes,
aus Wort und Licht.
Schau in dir selbst
- - sein Angesicht:



GEBET IN DEPRESSION

O blinde Zeit, da niemand helfen kann,
o Kreuz, o Dorn, o eisernes Gespann,
das mich in seine feurige Umhüllung spannt,
o blinde Zeit, wie Trug in meiner Hand.

O blinde Zeit, die wie im Sturz vergeht,
einsame Wolke, die wie Staub verweht,
betäubte Fülle um des Todes Schrein,
o blinde Zeit, verwirkt wie aller Schein.

O Gott, halt mich mit Deinen starken Armen fest,
gieß Deinen Odem auf des Tages Rest
und laß den schwarzen Kummer meiner Pein
in Dir nur wurzeln, nur in Dir allein.



BLEIBEN

Bleiben in Dir
was auch geschieht,
Bleiben in Dir
auch wenn die Hoffnung flieht,
Bleiben in Dir
auch wenn das Dunkel hetzt,
Bleiben in Dir
wenn uns jemand verletzt,
Bleiben in Dir
wo Frieden ist bedroht,
Bleiben in Dir
auch wenn die Welt verroht,
Bleiben in Dir
auch in der Angst,
Bleiben in Dir,
was immer Du verlangst,
Bleiben in Dir
auch in der Not,
Bleiben in Dir
im Leben wie im Tod,
Bleiben in Dir
in Wut und Scham,
Bleiben in Dir
auch wenn die Hände lahm,
Bleiben in Dir
was auch geschieht,
Bleiben in Dir
weil uns Dein Auge sieht.



Gott, Du bist nicht ein Gott der Ferne und des Todes,
sondern ein Gott der Liebe und der Zuwendung,
laß uns, bei allem Verlorensein in dieser Welt,
Deine Nähe spüren, im Nächsten, im Freund, im Bruder, in der Schwester,
laß Dein Heil aufgehen über uns
und einander annehmen,
wie Du uns angenommen hast,
Du reißt aus dem Rachen des Todes und der Finsternis
in die Helle Deines Wortes und Sakraments,
laß uns dieses Dein Wort aufnehmen,
als den guten Samen, der aufgeht und Frucht bringt,
Herr, Du läßt keinen von uns los,
bei Dir ist kein Weg verloren,
in Dir ist alles in allem versöhnt,
durch Jesus Christus, Deinen Sohn,
am Kreuz.



PSALM

Vor dem
Wärmetod des Planetensystems,
den Bewegungsgesetzen,
dem graduellen Unterschied,
dem riesigen Kausalzusammenhang,
dem Evidenzcharakter der Gleichungen,
der Funktionshaftigkeit,
dem Schlachtruf der Revolutionäre,
zwischen Aufgang und Untergang
die Auferstehung von den Toten?



Herr, himmlischer Vater,
wir bitten Dich
für uns und alle Menschen,
schenk uns die Kraft für diesen Tag,
die Kraft Deines Geistes und Deiner Stärke,
Deines Mutes und Deiner Hoffnung,
Deiner Güte und Deines Erbarmens,
Deines Trostes und Deiner Freude,
Deiner Liebe und Deiner Geduld,
Deines Kreuzes und Deiner Auferstehung,
Dein Hier und Dein Jetzt,
Dein Morgen und Dein Übermorgen,
Deine Gnade, Dein Licht,
Deinen Sohn.



DU, DER DU SCHÖPFER HEISST

Du, der du Schöpfer heißt,
im Himmel und auf Erden,
erfülle mich mit Deinem Geist
und laß mich reifer werden.

Schein hell in meine Dunkelheit
und in mein armes Leben,
und zieh es hin zur Ewigkeit,
im Weinstock und den Reben.

Gib mir von deinem süßen Brot,
dem Himmelsbrot und mache
mich frei, sodaß ich nach dem Tod
in deinem Licht erwache.