Friedemann Schäfer

Weit auch das Schweigen

Gedichte

Du und die Anderen hier,
ihr mit dem Herzgesicht,
ihr mit dem Aschenlicht,
brennt im Visier:

Das Wort

Meine Königin naht, mit dem Licht, 
bestellt das Herz in die Fenster.
Blau schiebt den Abend. Sanfteren
Muts, stehet das schwankende Rohr.
Mundungelduldet die Hände ruhen
um den gebogenen Tisch.
Gleich dem gebogenen Wind, der
langsam die Schatten bewog.
Zuweilen dann stürzet hinab
jäh der Geschicke Verlust. Auch
käme das Wort wohl zu früh -
gleich dem geborgten Gesang.

Herbsteingang

Wenn von Dächern schwer der Regen fällt,
in den Händen gelbe Sanftmut wacht,
reift das Wort zum Willen einer Nacht.
Und die Bäume sind ums Haus gestellt.
Ziehen in den Abend Wolken ein.
Nur ein Schweigen regt das Firmament.
Wie ein Netz, das seine Stelle kennt,
bleibt die Sorge um das leere Sein.
Tiefes Warten wohnt in aller Zeit. 
In den Räumen stoßen Farben an.
Irgendwo verstirbt ein alter Mann. 
Und die Stunden werden groß und weit.

Bei Freunden

Wie ruhig ist des Guten sanfter Wille.
Es formen sich die Dinge hin zur Schönheit.
Es wirbt der Herbst,
und seine Schatten streichen
durch feuchter Gärten Türen,
werden offen
und bilden sich zu Hoffnung und zu Zeichen:
Der Reichtum Bilder 
fließt zu buntem Lehen.
Die Stadt ist voll
Gesichter und voll Flammen
und voll von Rufen,
die aus Höfen stammen
und die das Herz, das dumpfe, lassen auferstehen.

Weit auch das Schweigen

Rötliche Pfützen im Dämmer,
herbstlich die Worte,
Horte über schwammiger Schicht,
gebärend Wege und Licht.
Orte werden neu und weit,
weit auch das Schweigen.
Trunkene steigen
in silbernen Reigen
hinab in die Zeit.
Es wächst der Uhren
Hohlraum zwischen den Händen,
zwischen Händen und Wänden,
zwischen Himmel und Haus, 
Satzbau um Satzbau,
ein und aus.

Dein Gesicht, das traute…

Dein Gesicht, das traute,
schaut mich lange an - .
Dinge ziehn und Laute
in des Abends Bann.
Farbig sind die Bäume. 
Hoch und unbeschwert
atmen sie die Träume,
die wer gewährt?
Du bist schön, Gefährte.
Stimmen, Luft und Grund,
was ich einst begehrte,
werden warm und rund.
Groß wird das Geschehen.
Häuser stehen in Reihn.
Und die Menschen gehen
in des Abends Schein.
Was sich der Gebärde
und uns selbst entzieht,
wird zu Bild und Erde,
wo es ruht und flieht.

Der Brunnen

Golden schweigen schon die Schwäne.
Himmel röten einen Pfahl.
Durch die Straßen drängen Kähne.
Die verlassene Fontäne
duldet stumm den steilen Strahl.
Breiter rinnen jetzt die Schritte,
ungehinderter das Tun.
Auf den Stein legt sich die Bitte.
Um die fließendere Mitte
die gebliebenen Gedanken ruhn.
Ungesagt blieben die Dinge,
weil sie sich im Bilde drehn?
Die Gestalten bilden Ringe.
Die begrenzten Sonderlinge
werden größer und ... vergehn.

Gauklerweise

Schwermut trinkt der große Abend.
Mondbeladen fährt der Himmel.
Herrisch peitschen weiße Schimmel
durch die Tore, heiter trabend.
Rufe durch die Zimmer jagen.
Wo der Mann besitzt die Hure.
Der bezahlten Nacht zum Schwure
bleiche Fischlein aufzutragen.
Blutbespiegelt liegt de Weiher.
In den Bächen fließt ein Sterben.
Dunkel sich die Städte färben.
Hell am Feuer flammt die Leier.

Wende

Herbstlich ziehen Glocken an den Bächen.
Über runden Wegen fällt das Jahr.
Volle Männer in den Stuben zechen.
Roter Wein in bittren Mündern war.
Jetzt die Frauen in den Küchen sprechen.
Und die Feuer flammen stumm und groß.
Spitze Messer in die Brote stechen,
wenn von Fenstern bricht der Abend los.
Stundenweis die Uhren stehn und fallen.
Wie ein Gott sie aufgerichtet hat.
In den Weiden dumpfe Jäger knallen.
Vor den weißen Häusern ihrer Stadt.
So nur fortgeschritten und verglichen.
Auch die leisen Bitten ziehen mit.
Wo die Schritte hinterm Hang verblichen,
wiegt der Himmel über Feld und Schnitt.

Todesahnung

Der Abend kehrt in roten Buchten ein,
gelieh‘nen Lebens unverhofftes Sehnen.
Die Greise sich an dunkle Mauern lehnen
und sind in ihren Träumen oft allein.
Durch stille Seelen fließt der große Pan.
Der Herr der Zeit hat sie sich zugerichtet.
Er hat mit seiner Hand die Welt gelichtet,
und in den Tälern kommen Düfte an.
Der Todesengel fährt durchs gelbe Korn,
als sei die Reife jetzt erfüllt auf Erden.
Der Schnitter geht mit ruhigen Gebärden,
und seine Hand umfaßt schon Kreuz und Dorn.

Golgatha

Hier gibt es keine Blumenstand mit Flitter.
Bestochen liegt der Abend und das Rot.
Hier brechen nur die Bestien durch das Gitter,
über den Würfel, hingekniet im Kot.
Hier gibt es auch kein Haus mehr zu verkaufen
und keine neuen Kurse um halb acht.
Nur ein paar Söldner stehn und saufen.
Nein, kein Garde hält die Leichenwacht.
Hier, ohne Hier und ohne ein Zuhause.
Hier gibt es keine Post und keinen Brief.
Hier steht kein „neuer Mensch“ unter der Brause.
Hier gibt es nur die Stimme, die uns rief.

Ninive

Kontraste des Himmels über‘m Feld.
Listige Münzen, sind Sterne gestellt.
Hinter der Städte Rücken und Rand
rollt die Sonne, ein Rad in‘s Land.
Vor Brücken, aufgehängt am Holz,
sind kleine Monde. Hüte stolz,
wie gleiche glatte Schatten drehn.
Auf einer Platte wenden Feen.
Ein Zug mit hellen Engeln kommt
in schnellen Räumen an. Es frommt
ein Schweigen allen und wird spät.
Die Uhren rücken am Planet.
Kontraste des Himmels über‘m Feld.
Wie Weihrauch schwebt die verheißene Welt.
Und durch die Straßen weht, wie Schnee,
bläulicher Dunst für Ninive.

Lied des Gefährten

Mit großen Wassern
kommt der Herbst geflossen.
Und durch die Täler
geht ein sanftes Sterben.
Die Blätter, die in
bunten Bäumen werben,
fallen zur Erde …
Alles scheint beschlossen.
Des Vogels Ruf verhallt
in Busch und Winden.
Die Liebenden jetzt
zueinanderfinden.
Es blinkt des Himmels
reiches Licht und Kleid.
Aus tönernen Gefäßen
tritt die Zeit.

Milde

Die Luft ist warm und Wolken ziehn.
Auch gehen Menschen Arm in Arm.
Darüber tönen Ruf und Schwarm
von Vögeln, die aus Äckern fliehn.
Die Stunden in den Uhren gleiten. 
Es blinkt des Himmels sanftes Tun.
Noch einmal ein Vorüberschreiten
an Farben, die in Bäumen ruhn.
Und wo das Licht milde scheint,
und Menschen von steigenden Kosten sprechen,
fühle ich etwas wachsen in mir,
das uns vereint.

Hoffnungsschimmer

Die Wolken fliehn dahin. Erträumtes glüht
fort, unterm lodernden Gewicht der Zeit.
Erstorbnes liegt in stiller Hand bereit.
Die letzten Schattenrosen sind verblüht.
Noch suche ich in allem diesem dein Gesicht.
Der Gott des Herbstes zündet Feuer an.
Und wo die rote Erde schon an Laub gewann,
erreicht mich noch einmal sein fernstes Licht.

Traurigkeit

Die Luft klebt schwer in den Gebeinen.
Die Wolken kommen nicht zur Ruh.
Die Bäume stehn in dumpfen Hainen.
Die vielen Bilder fallen zu.
Die Sonne ist entzweigesprungen.
Die Stadt schwirrt wie ein Vogelpaar
hinab in die Erinnerungen,
was einmal war.
Ein kleiner Vers hüpft in ein Feuer.
Die Menschen gehen in Reih und Glied.
Es tickt die Zeit wie leises Ungeheuer,
voll Wissen, das als *Welt* geschieht.

Der Wärter

Er winkt den Booten mit der kleinen Hand.
Sie sind bis obenhin mit Gütern vollgeladen.
Er prüft nur eben noch den Wasserstand
und mißt den Mast am Deck, den hohen geraden.
Er nickt mit seinem Kopf: Sie kommen,
sie beugen sich in ihrer schweren Fracht,
die kleinen wie die großen, angeschwommen
und ziehen ihre Straße, Tag und Nacht.
Er aber bleibt nur stehen, zum Schalten.
Es ist sein Amt, ein Wartender zu sein.
Er überwacht die Brücke, bringt zum Halten
und schleußt die Schiffe immer wieder ein.
Dann gibt er mit der kleinen Hand das Zeichen,
das sprechende, das hier zum Boten sprach.
Und seine stummen Züge, seine weichen,
ziehen dem langen Zug der Boote nach.

Der Koch

Stimmen aus halbgeöffneten Türen,
in denen es bezaubernd zischt.
Gläser klirren und Feuer schüren.
Auf runden Tafeln ist getischt.
Weiße Arme in Töpfen rühren,
aus denen es unaufhörlich spricht.
Fettige Finger füllen und führen.
In dumpfen Stuben nistet Licht.
Gespräche geraten in feuchte Ritzen.
Zwischen hölzernem Stuhlgebein
Gäste mit großen Gesichtern sitzen.
Aus vollen Flaschen stürzt der Wein.
Er aber beugt sich mit äußerster Mühe
noch einmal tief über Kumme und Salz.
Während in Mündern dampft die Brühe,
wischt er sich langsam den Schweiß vom Hals.

Wehmut

Wehmut birgt den kahlen Hügel.
In den Händen tönt ein Sanftes.
Überm alten Weiherspiegel
ruht ein Sterben - : Hergewandtes.
Heilig steht der Engel Gottes
in den Toren, vor den Städten.
Trübe rinnt vom Blut des Spottes
Buhlendes in braune Betten.
Schon wohnt Abend in den Bächen.
Runder schaun zum Mund die Dinge.
Blinde in den Stuben zechen,
großer Augen fallende Ringe.

Die Stadt

Laute durch schnelle Lüfte fallen.
Männer gehen mit Hund und Hut.
Winde in hohen Bäumen sich ballen.
Vor hellen Fenstern der Abend ruht.
Mädchen in bunten Röcken schwitzen.
Es blaut des Himmels blanke Pein.
Greise gebückt auf Stühlen sitzen.
In runden Fässern gärt der Wein.
Die Weiber vor leisen Küchen drehen.
In Flüssen glänzt die kalte Flut.
Über den Dächern die Wolken wehen.
Und in den Leibern pocht das Blut.

Die Schatten

Die Schatten schwarzer Atem hält.
An Fensterrahmen düstere Röte.
Noch tönt vom Widerschein die Flöte,
wo Sichtbares zusammenfällt.
Der Blick ruht auf Vergangnem, alten,
das sich in nächster Lust verliert,
es Menschen bloßes Auge ziert
und will im Dunkelen erkalten.
Faß noch einmal zusammen jenes letzte Licht,
den süßen Glanz verloschner Sommertage.
Greife ihn innig auf und trage
ihn leicht ans schmerzbeladene Gesicht.

Sonniger Tag

Gespenstisch wohnet Stille um sein Grab,
des Vaters einst‘ger Wille ist verschlossen.
Das Wasser ist den hHerbst hinabgeflossen,
dem goldenen, der ihm den Atem gab.
Die heißen Lüfte sind wie festgeschraubt.
Noch einmal fährt die Hand durch rotes Laub.
Die Winde stehen still und sind wie taub.
Gebrochen bleibt, was sich verloren glaubt.
In helle Kammern stürzt das Licht herein
und kreist in sich, als wollt es nimmer enden.
Auch kleine Bilder finden sich an Wänden.
Die fernen Wünsche werden klar und rein.

Wahn des Dichters

Des Dichters Wort liegt bei den kühlen Kähnen,

voll Mauern ist die Welt darum gezogen,

und aus den Tiefen stürzen Weiche Wogen.

Er füllt die zeit mit seinem hellen Schmerze.

Er geht, sein Henker, zu dem Henkersmahle.

Er trägt den Tropfen Blut, auf himmelreicher Erde,

wo auch sein Wahn wächst: drohende Gebärde. . . 

Wegsam

Groß wird am Abend die zeit,
die Augen der Schauenden.
Laue die Winde wehn, weit
auch die Wege, die stauenden.
In der Höfe ruhend Gewölk,
in der Städte Mühlen und Gang,
drehet der Uhren Gebälk,
gehen die Mühenden lang.
Hoch schlägt der Türme Klang, 
des Himmels blankes Gesicht.
Über den Brücken bang
wechselt das Licht.

Vergangenheit

Stumpfsinn vergangener Tage,
verlorenes Zeichen . . . Bild.
Im Auge die brüchige Frage,
die über der Welle schwillt.
Vom Hafen ein banges Tuten,
irgendwoher . . . wohin,
streifen die Punkte, die guten,
wie Stäubchen deinen Sinn.
Ohne Verlust und Miene,
nur das Vergessen im Genick.
Das Unhaltbare, es schiene
dem flüchtigen Augenblick.

Verklingen

Hier eine Zeile, Worte, die dich fragen,
ein Kinderblick aus trauerndem Verzeihn,
ein bischen Glas, vom Fenster abgetragen
und etwas Weiß vom gläsernen Gestein.
Und noch viel mehr : vom Weißen und vom Blassen,
auch Farben, braun und blau verwandt,
und Kinder, Kinder in den Gassen,
und Bälle kullern leicht von Hand zu Hand.
Ein später Mittag und ein früher Abend,
ein halb Verklungenes und doch Geschehn.
Nur noch ein Kind, ein bischen schabend
in einer Ritze – die war gut zu sehn!
Dann eine Hand an einer Wäscheleine.
Sie sammelt, was der Tag getrocknet hat.
Und eine Stimme, eine kleine
und etwas Braun von einem welken Blatt.

Schwermut

Die sanften Hügel liegen still.
Es gilbt die zeit und bleibet nicht.
Kein Gott, der etwas sagen will.
Ein weiches Hirn, das stumm zerbricht.
Der Würgeengel, streng und groß,
umwölbt das Laub, das herbstet schon.
Der Tod kehrt ein in einen Schoß,
Ein Vogel fliegt mit spätem Ton.

Verzicht

An hohen Wänden verhallt der Ton,
der Blumen Gewelk in bangen Gärten.
Männer mit Hunden gehen. In Bärten
hängt ein Geruch von faulendem Mohn.
Die Frauen an Öfen stehen und sprechen.
Im warmen Stuben liebt braunes Geschirr.
Der Abend – ein einzeln Geschwirr
von Vögeln, die groß aus den Bäumen brechen.
Jetzt die Liebenden bald in Betten ruhen.
An birkenen Stellen verzehrt das Licht.
Und die Anderen, mit der Uhren Gesicht,
warten -  in den urnenen Schuhen.

Gezeichnet

Gezeichnet in die Tiefen meines Wahns,
blüht ein Gesicht, gezeichnet in die welken Hände mein,
gezeichnet in das wechselhafte Glück,
gezeichnet in den täglichen kleinen Tod.
Ist‘s Sand, woraus sind wir?
Was zitterst Du? Was hält uns fest, und was friert uns zu?
Sind wir‘s, die wir wie Abende vergehn?
Sind wir‘s, die einsam an den Fenstern stehn?
Sind wir‘s, getriebene Horden, schnell und ungeschaut?
Sind wir‘s wie lange halten wir uns aus,
und wer bewohnt in Zukunft unser Haus?
Sind wir‘s was erben wir und was heißt uns Gewinn?
Wir sind das Schweigen und des Worts Beginn.